Ernst May – er hat sich den Schelmengraben ausgedacht

Der Architekt Ernst May wird am 27. Juli 1886 in Frankfurt geboren ( 11. September 1970 in Hamburg). Die Mainmetropole ist von 1925 bis 1930 seine erste zentrale Wirkungsstätte als Stadtplaner. May legt dort ein Bauprogramm mit dem Ziel vor, die Wohnungsnot in zehn Jahren zu beseitigen. Die in dieser Zeit unter dem Titel „Das Neue Frankfurt“ entstandenen Siedlungen will die Stadt heute als Unesco-Welterbe anerkennen lassen. Zwischen 1930 und 1953 ist Ernst May in Russland und anschließend in Ostafrika aktiv. Dort lebt er zunächst vier Jahre als Farmer in Tansania, bevor er in Kenia wieder als Architekt arbeitet.

Am 1. Januar 1954 kehrt Ernst May nach Deutschland zurück. Er wird in Hamburg Leiter der Planungsabteilung des gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmens „Neue Heimat“, das sich in der Nachkriegszeit der Entwicklung von Sozialwohnungen und bezahlbarem Wohnraum in Westdeutschland widmet und über 460.000 Wohnungen baut. Von Hamburg aus kommt May 1958 zunächst nach Mainz und wird dann am 1. Januar 1961 zum Planungsbeauftragten von Wiesbaden ernannt. 

Die hessische Landeshauptstadt befindet sich zu dieser Zeit mitten in einem Wandlungs- und Wachstumsprozess von der Kurstadt zu einer Großstadt, in die immer mehr Menschen drängen und für die tausende von Wohnungen fehlen. So konstatiert es Oberbürgermeister Georg Buch in der vom Magistrat 1963 herausgegebenen Schrift „Das neue Wiesbaden. Städtebau ist kein Zustand, sondern ein Vorgang!“ In diesem Band legt Ernst May seine Pläne für drei Großsiedlungen vor, mit denen diese Wohnungsnot beseitigt werden soll: „Am Schelmengraben“, „Klarenthal“ und „Am Tennelbach“. Alle liegen auf den vom Taunus in das Stadtgebiet abfallenden Hängen, die sich laut May „in besonderem Maße für Wohnzwecke“ eignen. Unter anderem deshalb, weil die Luftverunreinigungen durch Staubniederschläge, mit denen Wiesbaden damals zu kämpfen hat, dort weniger schlimm sind.

Was die Siedlung „Am Schelmengraben“ besonders auszeichnet, ist, dass die Pläne Mays in der Errichtung der Siedlung durch die Neue Heimat Südwest in den Sechziger und Siebziger Jahren nahezu vollständig umgesetzt wurden. Neben der Auflockerung und Durchdringung der Wohnbezirke mit Grün zeichnen sich diese Pläne durch neue Entwicklungen im Wohnungsbau aus. Sie greifen gestiegene Ansprüche von Familien an die Wohnqualität auf. Dazu gehören unter anderem mehr Wohnfläche, ein Bad, eine eigenständige Küche und eine umbaute Loggia  statt eines einfachen Balkons. Dabei gibt es auch offene Loggien wie beispielsweise in der August-Bebel-Straße 13-19.

Trotz des Fokus auf hohe Lebensqualität und besonderen Details, haben Großsiedlungen aufgrund wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen bis heute mit ihrem Image zu kämpfen. Programme und Initiativen von Kommunen und Wohnungsgesellschaften wirken dem entgegen . In der Modernisierung des Wohnraums und der Außenflächen werden dabei Elemente aus der Planungszeit wieder aufgegriffen, um die ursprüngliche Vision wiederzubeleben, wie sie auch Ernst May verfolgte. Für ihn stand als Architekt beim Städtebau im Zentrum, immer das Bestmögliche aus einer Situation zu machen und Wege zu finden mit klugem Materialeinsatz und Bauweise lebenswerte Umgebungen für alle zu schaffen. Zu den Details, die im Schelmengraben wieder aufgenommen wurden, gehören die Farb- und Fassadengestaltung mit dem Kontrast zwischen Sicht- und Waschbeton und den ochsenblutroten Details oder die Mauern aus Winkelsteinen, die vor den Häusern der Hans-Böckler-Straße 88-92 noch im Original erhalten sind und für die Neugestaltung der Müllplätze an den Punkthochhäusern in der August-Bebel-Straße nachgebaut wurden.