Von wegen nur Stein

Wer den Schelmengraben kennt, dem ist sie sicher bereits aufgefallen: Ob an Treppenaufgängen, Hauseingängen, hinter Häuserzeilen, auf der grünen Wiese – die Mauer mit dem Zackenmuster schlängelt sich durch die Landschaft. 

Ein echtes Original

Was wenige wissen: Sie stammt aus den 1960/70ern, als die Siedlung Schelmengraben entstanden ist. Und ist damit als originale Bausubstanz von historischem Wert. Die unterschiedlichen Standorte weisen auch auf ihre vielseitige Funktion hin. Zum einen dient sie zur Abstützung des Erdreichs, was bei den topografischen Gegebenheiten (hügeligem Aufbau) im Schelmengraben wichtig ist. Außerdem gleicht sie die Höhenunterschiede zwischen den Hauseingängen entlang einer Steigung aus. 

Lego im Großformat

Doch hinter der Fassade verbirgt sich mehr: Was man als Wellen oder Zacken im Mauerwerk erkennt, ist eigentlich ein Stecksystem. Sozusagen Lego aus Stein. Die einzelnen Steine, die so genannten Winkelsteine sind hohl aufeinander gesteckt. Bei großen Höhenunterschieden können die Steine noch zusätzlich mit Beton verfüllt werden. Ausbesserungen können somit leicht durchgeführt werden, ohne dass die gesamte Mauer ersetzt werden muss. Außerdem macht sie das mobil: Wenn sie an andere Stelle verlegt werden soll, können die einzelnen Steine leicht wieder getrennt und am neuen Ort aufgebaut werden. Solche flexiblen Bauelemente waren typisch für die Zeit. Ein ähnliches System findet sich rund um die älteren Müllplätze. Diese sind mit länglichen, einzelnen Steinen zaunartig eingefasst. 

Spurensuche

Das Design und die Funktionalität der Mauer haben auch das Team von hanf Gartenarchitekten und Landschaftsplaner fasziniert. Es übernimmt die Freiflächengestaltung im Schelmengraben im Auftrag von der GWH. Nachdem das Team die bestehenden Mauerelemente bei einer Reinigung wieder auf Hochglanz gebracht hat, kam die Idee, sie bei der Planung für die Neugestaltung der Müllplätze rund um die August-Bebel-Straße 29 zu nutzen. Allerdings stellte sich heraus, dass es diese Steine so auf dem Markt nicht mehr gibt. Die letzte Spur war ein Katalogblatt aus den 70ern, in dem sie beworben wurden. Aus der Beschreibung lässt sich ableiten, dass die Steine schon damals etwas Besonderes waren und gezielt als Highlight platziert wurden.

„Die Mauer ist ein schönes Beispiel dafür wie damals versucht wurde Funktionalität und Design zusammenzudenken. Gleichzeitig ist der Ansatz auch nach heutigen Standards modern und zudem sehr nachhaltig. Die meisten Mauerstücke sind bis heute noch in einem sehr guten Zustand“, erklärt Merle Schrader, Landschaftsarchitektin bei Firma hanf Gartenarchitekten und Landschaftsplaner. 

Neuauflage in Handarbeit

Daher beschloss das Team von hanf gemeinsam mit der GWH, die Steine in einem Betonwerk nachgießen zu lassen. Dazu wurden nach Vorlage eines Originals mehrere Schalungen aus Metall geformt, die dann voll ausgegossen wurden. Die Herstellung als Hohlform, wie es die alten Steine waren, ist nur bei sehr großen Stückzahlen und in Serie möglich. Doch der Ästhetik tut es keinen Abbruch: Die neuen Steine kommen dem Original sehr nah. Auch wenn die Platzierung der „Schelmengrabenmauer“ rund um einen Müllplatz erstmal ungewöhnlich wirkt. Doch man kann es auch so sehen: So begegnet man im Alltag auch immer einem Stück Geschichte.